Kleinhirnaktivierungen bei Sprachprozessen

 

2.1. Versuchsbeschreibung und Auswertungshilfen

 

Im Rahmen der Untersuchungen zur Motorik, Sprachmotorik (Schreiben von Wörtern unter verschiedenen Bedingungen) und zum Sprachgebrauch (Lesen von Fremdwörtern, Sprachflüssigkeit und Sprachintelligenz (siehe Buchberger, Golaszewski und Urban, 2004) wurde zur Überraschung der Autoren auch bei den zuletzt genannten und rein sprachlich orientierten Paradigmen (Paradigmen 7, 8 und 9) deutliche Kleinhirnaktivierungen registriert.

Zum besseren Verständnis seien die 3 Paradigmen kurz zitiert:

 

Paradigma 7: Lesen von Fremdwörtern.

Mit diesem Paradigma sollte der Lesevorgang untersucht werden. Es wurde von der Hypothese ausgegangen, dass bei Verwendung von Fremdwörtern der tatsächliche Leseprozess besser in den Griff zu bekommen ist; der beim Lesen sonst übliche Abrufprozess von fertigen Wortgestalten soll so wenigstens zum Teil verhindert werden.

Dabei wurden Fremdwörter optisch präsentiert, die Probanden mussten sie laut vorlesen. Die für das Paradigma verwendeten Fremdwörter wurden willkürlich aus allen Wissensbereichen ausgewählt. Beispiele: Brainstorming, Hypothese, Anthropologie, Koexistenz, Mythologie, Advokatenbüro, Clochard….

 

Paradigma 8: Assoziation von Zeitwörtern zu optisch präsentierten Hauptwörtern.

Die Hauptwörter wurden optisch präsentiert und ein passendes Zeitwort sollte dazu frei assoziiert werden. Laut Possner (1994) sollten beim Finden von geeigneten Verben Aktivierungen von mehreren Gehirnregionen auftreten. Dies würde im Einklang mit der Komplexität der Aufgabe stehen. Beispiele: Löffel (z. B. essen), Löwe (z. B. brüllen), Melone, Fleisch, Licht, Tisch Tinte, Haare, Witz….

 

Paradigma 9: Erkennen von sinnidenten und nicht sinnidenten optisch präsentierten

                        Sätzen (Paarvergleich).

Dieses Paradigma sollte eine höhere, kognitive Funktion, nämlich das sprachlogische Verständnis sowie das logische Denken im sprachlichen Bereich untersuchen.

Die Probanden wurden aufgefordert, die dargebotenen Sätze hinsichtlich ihrer Aussage zu beurteilen, ob sie sinngemäß ident oder divergent sind. Die Antwort erfolgte über eine elektronische Response-Box mit je einer Taste für „ja“ oder „nein“. Als Testsätze wurden bekannte Sprichwörter verwendet. So musste etwa bei dem Satzpaar „Wer wagt, gewinnt“ und „Ohne Risiko kein Erfolg“ die Taste eins für „ja“ und bei dem Satzpaar „Teamarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg“ und „Viele Köche verderben den Brei“ die Taste zwei für „nein“ gedrückt werden. Beispiele:

 

Wenn die Herren aus dem Rathaus kommen, sind sie am klügsten.

Nachher weiß man immer alles besser.

 

Morgenstund  hat Gold im Mund.

Der frühe Vogel fängt den Wurm.

 

 

Jedes Paradigma wurde mit stets neuem Untersuchungsmaterial  dreimal wiederholt (Dauer je 3 Minuten; ebenso lange dauerten die Zwischenpausen  zur Erfassung des Ruhepotentials).

An der Untersuchung nahmen 20 Probanden (Pbn) teil; sie wurden nach den hier relevanten Kriterien Geschlecht und Händigkeit ausgewählt, so dass daraus 4 Gruppen mit jeweils 5 Pbn (2 x 2-Design) daraus resultierten. Dies hat den Vorteil,

a)     dass durch diese Splittung gruppenspezifische Effekte diagnostizierbar bzw. kontrollierbar werden; auf der Basis diverser Sprachuntersuchungen kann geschlossen werden, dass die unabhängigen Variablen Geschlecht und Händigkeit einen moderierenden Einfluss auf die hier verlangten Leistungen haben könnten

 

b)     dass eventuell über die Gruppen hinaus allgemeine Effekte beobachtbar werden und so dem Vorwurf begegnet werden kann, dass die Resultate gruppenspezifisch sein könnten.

 

Es kann auch der Einwand gemacht werden, dass die Pbn-Zahl insgesamt zu gering sein könnte. Diese hier herangezogene Anzahl ist darin begründet, dass sich die für diese Untersuchung gewonnenen Personen einer anstrengenden Prozedur unterziehen mussten (9 verschiedene Untersuchungsdurchgänge mit einer Gesamtdauer von  2 bis 2,5 Stunden; diese Zeit im Tomographen zu verbringen, ist nicht jedermanns Sache!).

 

Die Auswertung möglicher Kleinhirnaktivierungen und deren (exakte) Lokalisation kann nicht mit Hilfe des Talairach-Tournoux-Atlasses durchgeführt werden; für den Kleinhirnbereich scheinen keine Angaben auf, wiewohl in den 3-dimensionalen Darstellungen diesbezügliche Aktivierungen ausgewiesen werden (im SPM unter „render“ abzurufen, s. aber auch die Darstellungen der aktivierten Bereiche im stets ausgewiesenen „Glashirn“).

 

Um (halbwegs) exakte Lokalisationen zu erreichen, wurde eine Programmkombination zwischen dem Zusatzmodul TSU und dem Anatomie-Programm von Bock, 1999, arrangiert (um sich die Arbeit zu erleichtern, sind 2 Rechner von Vorteil: Koordinatenbestimmung (über TSU) einerseits und die Kodierung (nach Bock) andererseits  (ich verwendete noch einen 3. Rechner, um die Ergebnisse dieses Vorganges gleich auf einer entsprechenden Liste eintragen zu können). Das Zusatzmodul TSU - als Erweiterung zu SPM – weist parallel die Schnittebenen X, Y und Z aus. Für die Kleinhirnaktivierungen gibt es im TSU auch keine Bezeichnungen für aktivierte Areale bzw. Cluster, allerdings werden jeweils die exakten Koordinaten für die Achsen x, y, z angegeben, wenn man die Maus über eine Schnittebene (z.B. „x“ oder z)  bewegt. Wird z.B. die Ebene Z gewählt (sie ist wie beim Talairach-Tournoux-Atlas in 4-mm-Abständen abrufbar), dann werden gleichzeitig die X- und Y-Koordinaten in mm-Abständen ausgewiesen.

 

 

 Abb. 5: 3-dimensionale Darstellung aktivierter Felder mit Hilfe des TSU-Programms: Die rot umrandeten Cluster sind die eigentlichen Aktivierungszonen, die violetten deren Spiegelung auf der gegenüberliegenden Hemisphäre. Die Buchstaben bzw. Zahlen sind die Seitenangaben im Talairach-Tournaux-Atlas. Die Auswertung wurde entlang der z-Achse (in 4 mm- Abständen) vorgenommen. Durch Mausklick  (rechte Taste) auf ein nicht aktiviertes Feld, in (unserem Fall bei der Horizontaldarstellung) öffnet sich ein Pull-down-Menü, in dem die Schnittebnen aufscheinen (hier dargestellt die  Ebene -36). Durch Mausbewegungen innerhalb der rot umrandeten Cluster werden die Koordinaten der beiden anderen Achsen - in Millimeterabständen - angezeigt (der Mauscursor ist hier nicht sichtbar, er geht bei der Umkopierung verloren): In diesem Fall waren er es die Koordinaten  bei 11_12. (oben rechtes Segment) x  = 22, y = -69 und z = 36; die Koordinaten scheinen stets unter „Coordinates under cursor“ auf. Darüber sind die Signifikanzangaben zu finden. (Die hier eingegrenzte Struktur ist dem Lobulus semilunaris superior cerebelli zuschreibbar.)

 

Die anatomische Bezeichnung der aktivierten Areale (Cluster) erfolgt dann mit Hilfe des Auswertungsprogramms nach Bock: Dieses Programm stellt im 11. „Buch“ auf den Seiten 2 bis 7 multiplanare Rekonstruktionen eines T1-gewichteten 3D-Flash-Kernspintomogramms  des (gesamten) Gehirns dar. Die Schichtdicke beträgt 1 Millimeter, die Auflösung ca. 1 Pixel pro mm. Der Vorteil dieses Programms besteht darin, dass die gleichen Bezugsebenen (CA-CP) verwendet werden. Die rekonstruierten Ebenen stehen – wie auch im Talairach-Tournoux-Atlas ausgewiesen – zur CA-CP orthogonal.

 

Die genaue Lokalisierung bzw. die anatomische Bezeichnung der mit Hilfe der TSU-Routine gewonnenen Koordinaten aktivierter Felder wurde mit Hilfe der 3-dimensionalen Darstellung  des Gehirns vorgenommen (es gibt auch auf den Seiten 2 – 6  des erwähnten Programms 2-dimensionale); sie wird nun über die Eingabe der im TSU-Programm angezeigten Koordinaten vorgenommen; über ein aktiviertes Icon wird dabei die anatomische Zuordnung automatisch angezeigt.

 

Es soll hier jedoch ausdrücklich hingewiesen werden, dass die x- und die y-Achsen bei Bock vertauscht sind: „X“ bedeutet also nicht – wie bei Talairach & Tournoux  - von links nach rechts, sondern von vorne (+) nach  hinten (-): minus (-) dann, wenn die orthogonale Achse „CA“ nach hinten überschritten wird. „Y“ ist die Achse von links (-) nach rechts (+). Gleichzeitig werden mit dem Eintrag der Koordinaten für die Auswertung die entsprechenden Seiten im Talairach-Tournoux-Atlas  hinzugefügt (s. die Abb. 6). Dies gilt nicht für die z-Ebenen - 40 und -36. Alle Angaben sind in den im Anhang lokalisierten Paradigmentabellen ausgewiesen.

 

Folgender Vorgang wurde für die Auswertung der Daten gewählt (s. die soeben erwähnten Tabellen im Anhang):

 

a)     Bei der Auswertung der beobachteten Aktivierungen diente die z-Koordinate als „Leitachse“.

 

b)     Die für die einzelnen Lokalisationen ausgewiesenen Koordinaten basieren auf einem „Einengungsprozess“: Bei der TSU-Darstellung wird ein Feld - ein Cluster – angezeigt. Dabei wird auf der Ebene „Z“ unter Einbeziehung von x und y ein „Suchprozess“ gestartet, um die anatomische Zuordnung des aktivierten Feldes (z B. Lobulus simplex etc.) vornehmen zu können.

 

Abb. 6: Lokalisierungsprogramm nach Bock: Die in der dreidimensionalen Darstellung aufscheinenden gelben Fadenkreuze sind die Koordinatenpunkte, wie sie in den Feldern ant./post., dext./sin. und sup./inf. aufscheinen; wie oben erwähnt, werden diese aus der TSU-Darstellung übernommen; die leeren Felder darunter weisen ab der z-Ebene  z = -32 auf die Seiten im Talairach-Tournaux-Atlas hin. Durch Anklicken des Etiketten-Icons werden die anatomischen Bezeichnungen eingeblendet. Das grün umrandete Feld ist der Situs der eingeblendeten Struktur (durch Mausklick auf das Icon mit der grünen Umrandung)

 


 

 

Die Akzeptanz einer Aktivierung wurde auf der Basis des korrigierten t-Wertes (p = 0,01) mit 15 Voxel vorgenommen; bei rechtshändigen Frauen im Paradigma 9 wurde die Signifikanzschranke auf p = 0,05 erhöht; wie bei Urban et al. (2004) ausgeführt wurde, dürfte diese Personengruppe - z. U. von linkshändigen Frauen - bei Sprachprozessen auf einem niedrigeren Energie-(Aktivierungs-)niveau arbeiten.

 

Um die Auswertungsergebnisse bildlich zu demonstrieren, wird als Lokalisierungshilfe eine Abbildung nach Kahle, Leonhardt und Platzer, 1979, beigefügt (Abb. 7 ), wobei die in den Ergebnistabellen aufscheinenden Buchstaben-Zahlkombinationen (z.B. Lobulus simplex AC17) in dieser Abb. aufscheinen; die Buchstaben A bis D weisen auf die einzelnen Abbildungen hin. Desgleichen kann die Abb. 1 für die Paradigmen 7 und 9 als Illustration herangezogen werden. Eine beigefügte Liste zur Abb.7 führt - nach Nummern geordnet - auch solche Strukturen an, die nicht als Locus der Aktivierungen aufscheinen; sie dient zur Orientierung und Ergänzung. Darüber hinaus werden in den einzelnen Abschnitten zusätzlich farbige Abbildungen aus dem Programm von Bock – die aktivierten Felder betreffend – beigefügt.

 

 

 


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