Diskussion der Resultate

 

Als wesentliches Resultat soll zunächst einmal festgehalten werden, dass der Vergleich zwischen den Aktivierungsergebnissen bei den Sprach- und den motorischen Verhaltensweisen auf eine quantitativ höhere Beteiligung des Cerebellums bei Sprachprozessen hinweist (durchschnittliche Aktivierungsrate: 9 zu 7,5 aktivierte Felder, gerechnet über alle Paradigmen unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Zahl der Paradigmen zueinander).   Dieser Befund stimmt mit den Ergebnissen von Fox et al., 2003, überein (s. vorne unter Punkt 1.2.5.).

 

Zur Frage einer möglichen Inhaltsspezifität der Arealkombinationen (Sprache/Motorik) kann auf der Basis dieser Befunde nur festgehalten werden, dass diese nicht gegeben ist. Keines der 4 Felder, die am häufigsten sichtbar wurden, trat inhaltsspezifisch in den Vordergrund. Besonders der Lobulus quadrangularis anterior ist in allen 5 Paradigmen aktiv (und erreicht deshalb auch seine höchste Aktivierungsfrequenz: N = 16). Bei den sprachlichen Problemstellungen tritt zwar gegenüber den motorischen der Lobulus simplex in den Vordergrund (N = 8), er ist aber hier auch motorischen Paradigmen zweimal registrierbar.

 

Als gegeben kann angesehen werden, dass die folgenden Areale (Lobuli) - in aufsteigender Form = Orientierung an z-Achse - auch an den untersuchten Sprachprozessen beteiligt sind:

*      Lobulus semilunaris inferior (N = 1x, linkshändige Männer, P7) - jedoch eher fraglich, da nur einmal auftretend;

*      Lobulus semilunaris superior (N = 5x, P7 und P9);

*      Lobulus simplex (N = 8x : P7, P8, P9);

*      Lobulus quadrangularis anterior cerebelli (N = 10x: P7, P8, P9) -

 

Dazu kommen die medialen Strukturen:

*      Culmen vermis cerebelli (zum Lobulus anterior cerebelli gehörend)

*      Folium vermis cerebelli (zum Lobulus posterior cerebelli gehörend)

 

An dieser Stelle soll auch festgehalten werden, dass hier zum ersten Mal konkrete Lokalisationen für Sprachprozesse identifiziert wurden, so weit ich das übersehe; meist begnügt man sich mit Formulierungen wie „aktivierte Bereiche des Kleinhirns“, Strukturen des Kleinhirns…So beschränken sich Schreckenberger et al. in ihrer Arbeit auch noch 2003 bezüglich der sprachlichen Aktivierung auf die Angabe der Zahl regionaler Kleinhirnareale oder mit „überdurchnittlicher Aktivierungsanstieg“ ohne genauere Lokalisation. Darüber hinaus stammen die hier referierten Ergebnisse von gesunden Probanden; meist werden aber die Befunde von Kleinhirngeschädigten referiert.

 

Ergänzend zu den Ausführungen einer Funktionstheorie des Cerebellums (s. Kap. 1.3.) sei auf eine Arbeit verwiesen (Halsband et al.), wo im Zusammenhang mit expliziten (= nichtdeklarativen) Lernprozessen (wie Paarassoziationslernen, Konditionierungen…) auch auf die Rolle des Kleinhirns für kognitive Funktionen eingegangen wird: „Das Cerebellum bezieht propriozeptive und visuelle Informationen; der anteriore Lobulus (s. Abb. 1 bzw. Abb.: A8) projiziert seinerseits zur motorischen Kontrolle zum prämotorischen Kortex, der laterale posteriore Lobulus (gleiche Abb.) ist über Verbindungen zum präfrontalen Kortex entscheidend an kognitiven Funktionen beteiligt. Das Cerebellum übernimmt eine entscheidende Rolle für höhere kognitive Funktionen“ (Leiner, 1995, aus Halsband et. al., 2003). Sowohl die anteriore  - s. AC15 - als auch die posteriore Struktur - AC17 und AC19, s. Abb. 5 - waren in der hier referierten Sprachstudie markante Aktivierungsareale!

 

Wie schon oben erwähnt, sind die  angeführten Lokalisationen in den jeweiligen Tabellen keine spezifisch inhaltlichen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, dass dieses Organ keine spezifischen Aufgaben erfüllt. Wie bereits im Kapitel 1.3. aufgezeigt, dürfte das Prinzip einer flexiblen bzw. unterstützenden Verarbeitung von einfließenden Informationen aus verschiedenen Sinnesbereichen gelten, quasi eine Datenüberwachung und damit verbunden eine zur „Verfügungstellung“ zusätzlicher „Rechenkapazität“. Aus dieser Sicht spielt das Cerebellum auch eine entscheidende Rolle für höhere kognitive Funktionen. Auf der Basis dieser Theorie können die unterschiedlichen Frequenzen der Aktivierungen der oben aufgezeigten Arealaktivierungen erklärt werden: Die Lösung eines Problems ist nicht an ein bestimmtes Areal gebunden; darüber hinaus würden Aktivierungen nur dann auftreten, wenn - individuell betrachtet - eine Situation bei der Bearbeitung bzw. Bewältigung zusätzliche Unterstützung(en) erfordert. Aus dieser Sicht können dann auch die in fast allen Paradigmen auftretenden „leeren  = nicht aktivierten Felder“ (= keine Aktivierung trotz Erwartung) - auch bei rein motorischen Aufgaben - erklärt werden. Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen: Die bei dieser Untersuchung gebildeten Gruppen reagieren unterschiedlich; eine Nichtberücksichtung dieser Tatsache könnte dazu beitragen, bei künftigen Untersuchungen wesentliche (eben  gruppenspezifische) Unterschiede der Arbeitsweise  des Cerebellums zu übersehen. Diesen Befund stützen auch die Ergebnisse, die im Rahmen der Untersuchung von Buchberger et. al. (2004) dargestellt wurden. 

 

Irvy & Kelly (aus Halsband et al., 2003, S. 96) gelangten auf Grund ihrer Untersuchungen zum Schluss „ that the domain of the cereballar timing process is not limited to the motor system, but is employed by other perceptual and cognitive systems when temporally predictive computations are needed.”

 

 

 


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